Tiefziehteile in der Praxis

Gestaltungsregeln bei Kunststoff Tiefziehteilen - Top 13 Tipps für kunststoffgerechtes Konstruieren

Kunststoff Tiefziehen ist ein komplexer Prozess mit vielen Einflussvariablen, einschließlich Materialqualität, Temperatur, Druck, Geschwindigkeit und Werkzeuggeometrie. Durch Beachtung dieser Regeln lassen sich Fehler im CAD-Design und im Endprodukt vermeiden. formary hat die wichtigsten Konstruktionstipps zusammengefasst.


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Sarah Guaglianone

27. Mai 2024

8 Minuten
Kunststoff Tiefziehteile konstruieren_Banner
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Inhalte

    1. Gestaltungsregel bei Kunststoff Tiefziehteilen: Radien

    Radien bei der Konstruktion von Kunststoffteilen

    Bei der Gestaltung von Kunststoffteilen ist es wichtig, immer möglichst großen Radien einzubauen, um das Streckverhalten zu begünstigen. Tiefziehteile sollte man immer mit einem Mindestradius von 1,5mm fertigen. Auf der Werkzeugseite ist man auf einen Mindestradius angewiesen, der als sehr grobe Faustregel (da abhängig von vielen Parametern) die Dicke der Ausgangsstärke des Materials nicht unterschreiten sollte.

    Wenn scharfe Kanten nötig sind, dann setzen Sie bei der Konstruktion der Kunststoffteile mindestens einen Radius an, der so groß wie die Ausgangsstärke des Materials ist. Wird der Radius kleiner gesetzt, lassen sich die Daten entweder nicht, oder nur sehr umständlich tiefziehen. Außerdem erhöhen sich die Kosten durch längere Werkzeugfräszeiten.

    Radiusmöglichkeiten bei Positiv- und Negativwerzeugen

    Achtung: Am Tiefziehteil werden die Radien nochmals größer abgebildet als am Werkzeug selbst. Sowohl bei Positiv- als auch bei Negativwerkzeugen kommt es bei Vorgaben möglichst kleiner Radien vor allem darauf an, das Material so eng anliegend in die Ecken zu bekommen wie möglich. Der Radius an der werkzeugabgewandten Seite ergibt sich aus dem Radius der Werkzeugseite, sowie der Materialtype, der Materialverstreckung und der Materialdicke.

    2. Gestaltungsregel bei Kunststoff Tiefziehteilen: Wandschrägen

    Den Winkel zwischen der vertikalen Bauteilwand und der Entformrichtung bezeichnet man als Entformungsschräge. Da die Wahl der Entformungsschrägen die Geometrie des Tiefziehteils verändert, müssen die Winkel der Entformungsschrägen frühzeitig festgelegt und in die Konstruktionsdaten eingearbeitet werden.

    Konstruktionstipps für Wandschrägen am Tiefziehteil

    Designen Sie die vertikalen Wände des Teils möglichst mit Wandschrägen, um eine einfache Entformung ohne optische Makel, wie Markierungen an der Oberfläche zu erreichen.

    ℹ️ Empfohlene Wandschrägen generell: >2° 

    • Industriestandard für Negativwerkzeuge: 1,5 - 2°
    • Industriestandard für Positivwerkzeuge: 4 - 6°

    3. Gestaltungsregel bei Kunststoff Tiefziehteilen: Umformverhältnis und Wanddicke

    Das Umformverhältnis gibt die Relation zwischen Höhe und Breite der zu formenden Fläche wieder. Da das Material auf der begrenzten Fläche in die Tiefe verstreckt wird, dehnt sich dieses beim Umformen aus. Das Umformverhältnis ist hierbei abhängig von der Geometrie des Tiefziehwerkzeugs bzw. des resultierenden Tiefziehteils.

    Umformverhätlnis bei der Konstruktion von Tiefziehteilen

    Die sich daraus resultierende Wanddicke lässt sich durch die folgende Formel überschlagen: d2 = F1/F2 * d1

    • F1: Fläche des Materialzuschnitts ohne Spannrand 
    • F2: Oberfläche des Tiefziehteils nach Formvorgang 
    • d1: Materialausgangsstärke des Materials 
    • d2: Resultierende Wandstärke (Ergebnis)

    ℹ️ Mehr zu den Eck- und Kantenradien, Wandschrägen und Umformverhältnissen finden Sie unter Toleranzen.

    4. Gestaltungsregel bei Kunststoff Tiefziehteilen: Positiv- oder Negativformung und Wanddicke

    Je weiter bzw. tiefer das Material beim Thermoformen ins Werkzeug verstreckt wird, desto dünner wird die zurückbleibende Wandstärke. Üblicherweise wird die zu erzielende Wanddicke bestimmt, und dann zurückgerechnet (siehe Punkt 3), wie hoch die Ausgangsstärke des Materials sein muss (sogenanntes “reverse engineering.”)

    Das Streck- oder Ziehverhältnis beim Tiefziehen beschreibt das Längenverhältnis des Materials im Seitprofil (der Ausgangsstärke) und dem tiefgezogenen Tiefziehteil. Grundsätzlich gilt: Positiv geformte Teile führen bei gleicher Kontur zu einem kleineren und daher vorteilhafteren Streckverhältnis als negativ gezogene Teile.

    Positiv- und Negativformung bei Kunststoff Tiefziehen

    Durch das viskoelastische Verhalten von Thermoplasten während der Verstreckung gilt es einige Faustregeln beim Formvorgang zu beachten, wenn Sie Kunststoffteile konstruieren:

    • Je kälter das Halbzeug bei der Verstreckung, desto größer die nötige Kraft, es zu verstrecken
    • Je schneller die Verformungsgeschwindigkeit, desto größer die nötige Kraft, es zu verstrecken
    Potenzielle Schwachstellen bei der Negativ- und Positivformung

    Bei negativ geformten Teilen liegt die Schwachstelle des Tiefziehteils nach Formung daher im Bodenbereich, da Material vom Rand in den Boden der Werkzeugkavität verstreckt wird. Dabei dünnt das Material aus.

    Bei positiv geformten Teilen liegt die Schwachstelle des Tiefziehteils am Rand, da das Material zuerst am Bodenbereich des späteren Tiefziehteils auf das Positivwerkzeug aufsetzt, und den Randbereich nach unten ausdünnt. Zu dünn gewählte Ausgangsstärken und ein schlechtes Umformverhältnis, das heißt die Relation von Öffnungsbreite zu Öffnungstiefe, verschärfen den negativen Effekt zusätzlich.

    5. Gestaltungsregel bei Kunststoff Tiefziehteilen: Materialverstreckung bei Kavitäten

    Aufgrund der Materialverstreckung sollte vor allem bei negativ gezogenen Nestern darauf geachtet werden, dass die Relation von Tiefe zu Breite der Kavität das Verhältnis 1,5 : 1 nicht überschreitet. Je tiefer die Tiefe T der Kavität in Relation zur Breite B, desto mehr dünnt das Material bei Verstreckung aus. Und je größer die Ausdünnung, desto höher die Chancen eines Aufrisses an der Bodenkante.

    Materialverstreckung bei der Konstruktion von Tiefziehteilen

    Die Tabelle erklärt die Möglichkeiten verschiedener Ziehverhältnisse bei negativen und positiven Formen:

    Ziehverhältnis bei negativen und positiven Formen beim Konstruieren von Kunststoffteilen

    Ziehverhältnis (Tiefe zu Breite)positivnegativ
    0,3:1möglichmöglich
    0,5:1möglich+ Oberstempel
    1:1möglich+ Oberstempel
    1,5:1Materialverzug an der GrenzeMaterialverzug an der Grenze
    2:1Lässt sich nicht simulieren. Muss getestet werden.Lässt sich nicht simulieren. Muss getestet werden.

    6. Gestaltungsregel bei Kunststoff Tiefziehteilen: Übergangskonturen 

    Wie schon angemerkt: Beim Thermoforming gilt es in der Konstruktion mit Kunststoffen, kleine Radien zu umgehen. Gerade bei passformgenauen Bauteilkavitäten lassen sich Nester unter Einhaltung der vollen Funktionalität in abgeschwächten Konturen deutlich besser tiefziehbar gestalten.

    In Abbildung 1 ist eine schlecht tiefziehbare Kavitätenkontur dargestellt, in Abbildung 2 eine entschärfte Kontur, welche sich gut formen lässt. Durch die Entschärfung der Entformungsschrägen und Radien lässt sich das Tiefziehteil besser ziehen, was die Qualität erhöht. Außerdem wird das Risiko von Aufrissen dadurch minimiert, sowie höhere Reproduzierbarkeiten garantiert.

    Übergangskonturen als wichtige Gestaltungsregel für Kunststoff Tiefziehteile
    Abgemilderte Höhenübergange bei der Konstruktion von Kunststoffteilen

    Schlussendlich sind auch die Taktzeiten kürzer, was in einem allgemein erfreulichen, günstigeren Stückpreis mündet. Auch Übergänge von Randkonturen oder Stufenbereichen können durch Schrägen entschärft werden. 

    Bei zu kleinen Radien besteht gerade beim positiven Formen immer die Gefahr der Faltenbildung beim Tiefziehen. Um Falten zu umgehen, können auch bei der Kunststoff Konstruktion rippenförmige Übergänge angesetzt werden, um eine Falte beim Positiv-Tiefziehen zumindest gezielt zu formen.

    Faltenbildung gezielt konstruieren bei Kunststoffteilen
    Faltenbildung durch angedeutete Rippen

    7. Gestaltungsregel bei Kunststoff Tiefziehteilen: Hinterschnitte

    Hinterschnittkonturen stellen Geometrien im Werkzeug dar, die das Teil an einer sanften Trennung vom Werkzeug hindern. Da beim Thermoformen das Werkzeug, anders als beim Spritzguss, nicht aus zwei Hälften besteht, lassen sich Hinterschnitte grundsätzlich schwieriger entformen. Da die Hinterschnitt-Geometrien das Entformen verkomplizieren, gilt es diese bei der Konstruktion möglichst zu umgehen.

    Das ist einfacher gesagt als getan: Hinterschnitte spielen bei vielen Tiefziehteilen eine tragende Rolle, da sie in Form von Stapel-Elementen und Klemmungen zum Einsatz kommen. Daher kann oft nicht auf Hinterschnitt-Konturen verzichtet werden. Aus diesem Grund gilt es beim Konstruieren von Kunststoffteilen, diese auf ein tiefziehbares Niveau zu reduzieren.

    8. Gestaltungsregel bei Kunststoff Tiefziehteilen: Verarbeitungsschwindung

    Denken Sie daran, dass die Verarbeitungsschwindung eines Kunststoff Tiefziehteils ein wichtiger Faktor ist, der die Endgröße und Form beeinflusst. Nach der Entformung schrumpft das Teil aufgrund des Materialverhaltens noch weiter. Diese Schwindung variiert je nach Material und kann auch nach dem Abkühlen des Teils noch bis zu 24 Stunden anhalten. Insbesondere bei teilkristallinen Thermoplasten hört die Nachschwindung nie auf und das Teil kann sich mit der Zeit weiter verkleinern.

    Um dies zu berücksichtigen, sollte die Konstruktion des Tiefziehwerkzeugs die Schwindung im Voraus berechnen und einplanen und die Größe und Geometrien des Werkzeug entsprechend gestalten.

    Wichtige Faktoren, die die Schwindung beeinflussen, sind der gewählte Kunststoff und die Entformtemperatur, die der Verarbeiter kontrollieren kann. Beachten Sie jedoch, dass auch die Extrusion des Materials eine Rolle spielt und interne Spannungen im Halbzeug berücksichtigt werden müssen, wenn Sie Kunststoffteile konstruieren. Vor Produktionsbeginn sollte daher eine Musterprüfung durchgeführt werden, um potenzielle Probleme wie Schrumpfung frühzeitig zu erkennen.

    9. Gestaltungsregel bei Kunststoff Tiefziehteilen: Tiefziehfähige Toleranzen

    Tiefziehteile werden für einen Großteil der industriellen und Verpackungs-Anwendungen mit einer Toleranz von +/- ~1 mm konstruiert. Das entspricht dem Toleranzfeld nach ISO 2768-c für das in diesem Produktbereich gängige 120 bis 400mm Längenmaß.

    Tiefziehfähige Toleranzen beim Konstruieren von Kunststoff Tiefziehteilen

    Das Formen von engeren Toleranzen ist meistens mit zusätzlichen Kosten verbunden. Diese sind auf längere Entformzeiten, größere Fertigungsaufwände und/oder längere Taktzeiten zurückzuführen. 

    ℹ️ Wichtig ist, dass Toleranzen nicht unnötig eng gewählt werden: Das Motto „So groß wie möglich, so klein wie nötig“ gilt als allgemeine Richtlinie in der Konstruktionsanleitung.

    10. Gestaltungsregel bei Kunststoff Tiefziehteilen bei Baugruppen: Befestigungspunkte

    Um verschiedene Tiefziehteile oder Baugruppen zusammenzusetzen, sind Befestigungspunkte nötig. Beim sicheren Verschluss von Tiefziehteilen kommen viele Optionen der Verbindungstechnik zum Einsatz. Diese müssen von Anfang an für das kunststoffgerechte Konstruieren wohl überlegt werden. Abhängig von der mechanischen Belastung, der Häufigkeit des Öffnens und Verschließens und der Verbindungsstabilität, stehen verschiedene Möglichkeiten zur Erreichung eines Kraftschlusses zur Verfügung.

    Befestigungspunkte anbringen bei der Konstruktion von Kunststoffteilen

    Bei permanent kraftschlüssigen Verbindungen werden an den Übergangsstellen zwischen zwei Teilen häufig Schrauben oder Nieten an die Tiefziehteile angebracht, um eine Verbindung zu erzielen.

    11. Gestaltungsregel bei Kunststoff Tiefziehteilen bei Stapelung: Stapeltechnik

    Wenn Ihr Tiefziehteil gestapelt werden soll, muss das schon frühzeitig in der Konstruktion beachtet werden, sodass für die Stapelung Platz gelassen wird. Bei der Selektion der passenden Stapeltechnik entscheiden verschiedene Punkte:

    Materialausgangsstärke

    Die Wahl der Stapelung eines Tiefziehteils hängt in erster Linie von der Steifigkeit des Tiefziehteils und den Gleiteigenschaften des Materials ab. Je dicker das Material (oft bei Mehrwegtrays der Fall), desto besser lässt sich stapeln. Je schlechter die Gleiteigenschaften des Materials, desto besser die Haftreibung, und desto besser lässt sich dadurch stapeln.

    Sensibilität der Produkte

    Wenn nicht über die Bauteile gestapelt werden darf (oder soll), sondern einige mm Luft eingehalten werden, wird eine hochwertigere Stapeltechnik benötigt. Der Grund ist, dass die Stapelung des Tiefziehteils selbsttragend ist, d.h. das Gewicht der Trays und des Inhalts ohne zusätzliche Abstützungen auf der Trayfläche tragen muss.

    Dringlichkeit des Zeitplans

    Komplexe Stapeltechniken mit beweglichen Stapelelementen setzen die Fertigung aus einem Klappenwerkzeug voraus. Die Herstellung eines solchen Werkzeugs ist zeitintensiver als ein relativ einfach gehaltenes Hinterschnittstapelungs-Werkzeug.

    12. Gestaltungsregel bei Kunststoff Tiefziehteilen: Materialauswahl

    Weichere Kunststoffe haben nach der Entformung größere Rückverformungen und höhere Verarbeitungsschwindungen. Materialien mit hoher Härte und Steifigkeit sind automatisch in einer besseren Toleranzgruppe in puncto Genauigkeit.

    ℹ️ Mehr zu Kunststoffen, ihren Eigenschaften und deren Einfluss auf die Gesamtkosten im Tiefziehen, können Sie in unserem Whitepaper “Materialleitfaden für Kunststoff Tiefziehteile” nachlesen.

    13. Zusatztipp: Optimal gesetzte Gravuren

    Gravuren bei Kunstsoff Tiefziehteilen

    Sollten Sie Kennzeichnungen im Tiefziehteil benötigen, können Sie diese gerne direkt mit einer Gravur in das Werkzeug einbringen. Die Kosten der Gravur können sehr unterschiedlich ausfallen, je nachdem, wie diese eingebracht werden muss. Als Faustregel gilt: Eine negativ (versenkt) eingebrachte Gravur ist relativ kostengünstig, eine positiv eingebrachte (erhabene) Gravur deutlich aufwendiger, und daher teurer.

    Kunststoffteile konstruieren - Ganz einfach mit unseren Konstruktionstipps

    Durch das Beachten dieser Design-Grundregeln können potenzielle Fehlerquellen im Endprodukt schon beim Erstellen der CAD-Daten mit einbezogen und proaktiv umgangen werden. So können Sie mit Ihrem Produkt direkt in das Prototyping gehen.

    Sie haben weitere Fragen? Dann kontaktieren Sie uns oder laden sich für weitere Informationen zum Kunststoff Thermoforming unseren Design-Guide herunter.

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