Tiefziehteile in der Praxis

Spritzguss vs. Thermoformen - Vorteile, Nachteile, Unterschiede und Gemeinsamkeiten

In der Welt der Kunststoffverarbeitung gibt es verschiedene gängige Fertigungsverfahren, um präzise Kunststoffteile für industrielle Anwendungen herzustellen. Wir stellen zwei gegenüber: Der Spritzguss und das Thermoformen.


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Sarah Guaglianone

30. November 2023

9 Minuten
Blogbeitrag Spritzguss versus Thermoformen
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Beide Verfahren eignen sich für verschiedene Branchen und Lösungen, weshalb es wichtig ist, deren Gemeinsamkeiten, Unterschiede, Vor- und Nachteile sowie Einsatzbereiche zu verstehen. In diesem Beitrag wird das Spritzguss- und Thermoformverfahren miteinander verglichen, damit Sie die bestmögliche Entscheidung für Ihren Anwendungsfall treffen können.

Inhalte

Was ist Spritzgießen?

Spritzgießen ist ein gängiges Verfahren in der Kunststoffverarbeitung. Dabei werden geschmolzene Kunststoffe in Formen eingespritzt - daher der Name. Durch hydraulische Kühlung erstarrt der Kunststoff und nach dem Öffnen der Form wird das fertige Spritzgussteil entnommen. Wie ist beim Spritzgießen jedoch der genaue Ablauf? Im Folgenden erfahren Sie gleich mehr dazu.

Spritzgussverfahren
Spritzgussverfahren

Wie funktioniert das Spritzgussverfahren?

  1. Plastifizieren durch Hitze: Das Granulat verflüssigt sich durch die Wärme. Die Form, auch Spritzgießwerkzeug genannt, wird geschlossen. Es handelt sich um eine zweiteiliges Spritzgusswerkzeug, welches im Hohlraum das Negativ der gewünschten Form des Endprodukts darstellt.
  2. Einspritzen des Kunststoffs: Geschmolzener Kunststoff wird unter Druck in die geschlossene Form eingespritzt. Der Kunststoff füllt die Hohlräume der Form aus und nimmt deren Form an.
  3. Abkühlen und Erstarren: Nachdem die Form gefüllt ist, wird der Kunststoff von Innen mit Wasser abgekühlt und erstarrt, wodurch dieser formstabil wird.
  4. Öffnen der Form: Nach dem Erstarren wird das Spritzgusswerkzeug geöffnet, und das fertige Spritzgussteil kann entnommen werden.

Was versteht man unter Thermoformen?

Beim Thermoformen, oder auch Kunststoff Tiefziehen, wird thermoplastischer Kunststoff mithilfe von Tiefziehmaschinen erhitzt, umgeformt und nach dem Abkühlen durch Stanzen oder Fräsen in die gewünschte Form zugeschnitten. Das Tiefziehverfahren ermöglicht die Herstellung von dreidimensionalen Kunststoffteilen mit unterschiedlichen Formen und Größen für individuelle Anwendungen.

Wie funktioniert Thermoformen?

Der Tiefziehprozess verläuft beim Thermoformen von Kunststoff auf diese Weise ab:

Kunststoffumformen auf einem Negativ-Werkzeug
Kunststoffumformen auf einem Negativ-Werkzeug
  1. Aufheizen: Beim Aufheizvorgang wird der Thermoplast auf die sogenannte Umformtemperatur erhitzt. Hierbei handelt es sich um einen Zustand, in dem der Kunststoff sich gummi-elastisch verhält.
  2. Formgebung: Beim Formvorgang wird das Halbzeug in die gewünschte Form verstreckt. Hier wird das Material in einen Rahmen eingespannt auf das Werkzeug gebracht. Der Vorgang dauert meist wenige Sekunden.
  3. Abkühlung: Der Abkühlprozess setzt ein, sobald das Halbzeug auf dem Werkzeug auftrifft. Hierbei kühlt die werkzeugseitige Materialoberfläche durch die Berührung mit der Aluminiumoberfläche ab.
  4. Trennung: Nachdem das Tiefziehteil abgekühlt ist, muss dieses entformt werden. Für die Entfernung der Materialreste kommen verschiedene Trennverfahren zum Einsatz, welche in Stanzen und Fräsen unterteilt werden können.

Gegenüberstellung: Thermoformen versus Spritzgusss

Stark vereinfacht ausgedrückt, liegen die gängigen Stückzahlen im Thermoforming meist in einem niedrigeren Bereich als im Spritzguss. Das beste Beispiel sind vor allem Abdeckungen und Verkleidungsteile: Diese werden oft bereits schon ab zweistelligen Mengen hergestellt, bei anderen Produkten sind Produktionszahlen von mehreren Tausend oder Zehntausend üblich. Allerdings gibt es auch Thermoforming-Produkte, die gerade im Lebensmittelbereich (bsp. Joghurtbecher), in Millionenstückzahlen hergestellt werden.

Gerade komparativ zum Spritzguss fällt das initiale Investment in das Werkzeug gering aus. Daher ist das Tiefziehverfahren schon bei kleinen Stückzahlen sinnvoll. Die günstigen Werkzeugkosten liegen zum einen am einfacheren Aufbau des Formwerkzeugs, was primär durch die einseitige Werkzeugausführung gegeben ist. Im Gegensatz zum Spritzgießen wird kein Hohlraum (zweiteiliges Werkzeug) für den Formvorgang benötigt. Thermoform-Werkzeuge kosten je nach Ausführung, Material, Nutzenanzahl, Größe und Aufbau zwischen 500 € und 10.000 €, können aber bei Großteilen oder Mehrnutzen-Werkzeugen auch deutlich darüber liegen. Beim Spritzguss-Werkzeug belaufen sich die Kosten im Normalfall auch schon bei kleineren Teilen auf 20.000 € aufwärts.

Spritzguss versus Thermoformen: Direkte Gegenüberstellung
Spritzguss versus Thermoformen: Direkte Gegenüberstellung

ℹ️ Wichtig zu beachten: Ist das Tiefziehwerkzeug aus Serienmaterial, wie Aluminium, erstmal erstellt, lässt sich dieses in sehr hohe Stückzahlen skalieren, die ohne Nacharbeiten deutlich in den 6-stelligen Bereich gehen können.

Während Spritzgusswerkzeuge schon in Standardausführungen mindestens 10 Wochen in der Herstellung benötigen, können Werkzeuge im Thermoforming im günstigsten Fall schon in 1-2 Wochen beim Werkzeugbauer gefräst werden. 

Tiefziehteile werden für einen Großteil der industriellen und Verpackungs-Anwendungen mit einer Toleranz von +/- ~1 mm konstruiert. Das entspricht dem Toleranzfeld nach ISO 2768-c für das in diesem Produktbereich gängige 120 bis 400mm Längenmaß. Beim Spritzgießen liegen typische Toleranzen bei +/-0,1 mm und sehr enge Toleranzen bei +/- 0,025 mm, und damit enger als beim Thermoforming.

Vorteile und Nachteile beim Spritzgießen

Spritzguss ermöglicht es, eine hohe Stückzahl präziser Kunststoffteile zu produzieren. Insbesondere bei großen Stückzahlen von Kunststoffkomponenten ist eine kontinuierliche Konsistenz und Wiederholbarkeit entscheidend, und genau diese Aspekte werden durch das Spritzgussverfahren gewährleistet. Trotz der Vielzahl von Vorteilen, die das Spritzgussverfahren bietet, sind auch einige potenzielle Nachteile zu berücksichtigen.

Übersicht der Möglichkeiten und Limitationen beim Spritzgussverfahren

Vorteile beim Spritzgießen

Nachteile beim Spritzgießen

Niedrige Stückkosten bei Massenproduktion

Hohe Werkzeugkosten

Hohe Präzision und Reproduzierbarkeit

Vergleichsweise hoher Verschleiß an den Werkzeugen

Geeignet für komplexe Formen und Konturen wie Haken, Kämme und Rippen

Dünnwandige Teile häufig teurer als im Tiefziehen

Hohe Oberflächenqualität

Hoher Energieaufwand

Spritzgussteile müssen nicht nachgearbeitet werden

Konstruktionsänderungen sind teuer

Verfahren ist vollautomatisierbar

Lange Vorlaufzeiten

Vorteile und Nachteile beim Thermoformen

Besonders bei der Herstellung mittelgroßer Serien unter zeitlichen Einschränkungen erweist sich das Thermoformen als unschlagbar. Thermoformen von Kunststoff bietet zahlreiche Vorzüge für die wirtschaftliche Produktion ästhetisch ansprechender Kunststoffprodukte. Geringe Werkzeugkosten, kurze Vorlaufzeiten, eine umfassende Auswahl an Materialien, hohe Reproduzierbarkeit und eine erstklassige Optik zeichnen das Tiefziehverfahren aus. Diese Merkmale ermöglichen eine flexible Anwendung in verschiedenen Branchen, in denen Tiefziehteile aus Kunststoff gefragt sind.

Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass im Thermoform-Verfahren das Werkzeug im Unterschied zum Spritzguss nur einseitigen Materialkontakt aufweist, was gewisse geometrische Beschränkungen mit sich bringt. Mehr dazu im Design-Guide. 

3D-Druck vs. Thermoformen

Interessiert daran, inwiefern sich Kunststoff Tiefziehen vom 3D-Druck unterscheidet? Dann lesen Sie gerne unseren Beitrag “Thermoformen vs. 3D-Druck.”

Übersicht der Möglichkeiten und Limitationen beim Thermoforming

Vorteile beim Thermoformen

Nachteile beim Thermoformen

Niedrige Investitionskosten für Werkzeuge

Werkzeuganpassungen können teuer werden

Kostengünstige Herstellung

Etwas langsamerer Fertigungsprozess als beim Spritzgießen

Lohnt sich schon ab geringen Stückzahlen

Komplexe Formen mit sehr dünnen Wänden sind begrenzt

Optimale Möglichkeiten zur Nachbearbeitung

Potenzielle Schwierigkeit, gleichmäßige Materialstärken in komplexen Formen zu erreichen

Post-industrial Recycling für einfache Kreisläufe möglich

Einseitiger Materialkontakt

Konkurrenzlos bei dünnwändigen Teilen

Komplexere Geometrien aus dem Spritzgussbereich nicht herstellbar

Kurze Vorlaufzeiten

Halbzeug teurer als beim Spritzguss

Große Materialauswahl

Schnitt- und Stanzkosten

Alle Größen und Formen möglich (Großteile) 

Potenzielle Fehlerquellen bei Halbzeug-Herstellung durch eingefrorene Spannungen im Material bei Extrusion

Gemeinsamkeiten beim Thermoformen und Spritzgießen

Kunststoffprodukte bieten eine Reihe von Vorteilen. Dazu gehören:

  • Geringes Gewicht
  • Langlebigkeit
  • Korrosionsbeständigkeit
  • Elektrische Isolierung

Die niedrigere Dichte von Kunststoffen im Vergleich zu Metallen erweist sich nicht nur in Fahrzeugen als vorteilhaft. Die Fähigkeit, mit ESD-Trays elektrischen Spannungen standzuhalten, trägt erheblich zur Betriebssicherheit von Geräten aller Art bei. Zudem sind viele Thermoplaste korrosionsbeständig und langlebig, was zur langfristigen Gebrauchsfähigkeit der Produkte beiträgt.

Anwendungsbereiche beim Spritzguss und Thermoformen

Einige Produkte lassen sich, mit angepassten Geometrien, sowohl spritzgießen, als auch tiefziehen. Daher gibt es eine Reihe von Überschneidungen beim Kunststoff Spritzguss und Kunststoff Thermoformen. Die Auswahl zwischen Thermoformen und Spritzgießen hängt von den spezifischen Anforderungen des Produkts, den Materialien, der Stückzahl und den Kosten ab.

Typische Branchen und Anwendungen, in denen Spritzgießen und Thermoformen genutzt werden

  • Verpackungen: Kunststoff Tiefziehen als auch Spritzguss werden häufig für die Herstellung von Verpackungen verwendet, insbesondere für Kunststoffbehälter, Schalen und Gehäuse. Die Verschlüsse für Behälter, wie Klappdeckel, können sowohl gespritzt als auch thermoformt werden.
  • Automotive: Sowohl im Spritzguss als auch im Thermoforming werden Teile für die Automobilindustrie hergestellt, wie z.B. Innenverkleidungen, Türverkleidungen Armaturenbretter oder Abdeckungen. Für welches Verfahren man sich entscheidet ist abhängig von den Design- und Kostenanforderungen.
  • Medizin & Pharma: Kunststoffbehälter zur Aufbewahrung von Laborproben, wie Blutproben oder Gewebeproben, können durch beide Verfahren hergestellt werden. Ein immer wichtiger werdender Bereich sind Medizintechnik Gehäuse für medizinische Geräte wie OP-Leuchten, Lasersysteme und MRTs. Durch die Entwicklungen moderner Maschinen und Werkzeuge verdrängen Kunststoff Tiefziehteile hier durch multiple Vorteile Spritzguss und alternative Verfahren.
  • Elektronik & Halbleitertechnologie: Einige Kunststoffgehäuse für elektronische Geräte wie Fernbedienungen oder kleine elektronische Gadgets können in beiden Verfahren produziert werden.
  • Konsumgüter: Kunststoffteller, -schalen und -becher werden sowohl durch Spritzguss als auch durch Thermoformen hergestellt, je nach den Herstellungskosten und den gewünschten Geometrien.
Kunststoffabdeckungen, Kunststoffgehäuse und Kunststoffbehältnisse

Hier lohnt sich das Spritzgussverfahren:

  • Filigrane Kleinteile: Detaillierte Kleinteile in allen Branchen wie Lippenstifthülsen, Figuren der Spielindustrie, Schrauben, Muttern, Clips, Schalter, Anschlüsse etc. werden oft durch Spritzguss hergestellt, da sie komplexe Geometrien aufweisen und in großen Stückzahlen produziert werden.
  • Komponenten für Automotive: Viele Teile in der Automobilindustrie, wie Schalterabdeckungen, Verkleidungen, Knöpfe und Halterungen werden durch Spritzguss hergestellt, da sie oft komplex geformt sind und hohe Präzision erfordern.
  • Elektrogehäuse: Kunststoffgehäuse für elektronische Geräte wie Mobiltelefone, Laptops, Fernseher und Kameras werden häufig durch Spritzguss produziert, um die gewünschte Form und Präzision zu gewährleisten.
  • Medizinische Geräte: Viele Komponenten von medizinischen Geräten, wie Gehäuse von Infusionspumpen oder Teile von Diagnosegeräten, werden durch das Spritzgussverfahren hergestellt, um die Hygieneanforderungen und Präzision zu erfüllen.

Hier lohnt sich das Tiefziehverfahren besonders:

  • Tiefziehtrays: Trays und Pendelverpackungen eignet sich optimal fürs Tiefziehen, sind vielseitig modifizierbar und erfordern einen geringeren Werkzeuginvest.
  • Blisterverpackungen: Kunststoffblister und Inlays werden oft für die Verpackung von Arzneimitteln, Lebensmitteln und andere Konsumgüter genutzt, da sie dünnwandig sind, in großen Stückzahlen benötigt werden und die Werkzeugkosten niedrig gehalten werden können.
  • Verkleidungen für Automotive und New Mobility: Einige dünnwandige Teile in Fahrzeugen, wie Innenverkleidungen und Ablagen, werden durch Kunststoff Tiefziehen hergestellt, um Gewicht zu sparen und die Kosten niedrig zu halten.
  • Abdeckungen und Gehäuse: Für Maschinen, technische Geräte und Robotik eignet sich gerade bei kleineren Stückzahlen oder der Prototypenerstellung das Tiefziehverfahren.
Kunststoff Inlays, Kunststoffabdeckungen, Medizinblister

Thermoformen oder Spritzguss? - Fazit und Empfehlungen

Die Wahl zwischen Spritzguss und Thermoformen hängt von verschiedenen Faktoren ab. Werkzeugkosten, Geometrien, Stückzahlen, Lieferzeiten - all diese Aspekte müssen bei der Entscheidung zwischen den beiden Verfahren abgewogen werden. Für die vergleichsweise niedrigen Investitionskosten, die Produktion mit Stückzahlen von 5-10.000 und kurze Lieferzeiten ist das Thermoformen die optimale Lösung. In jedem Fall ist eine genaue Analyse der Anforderungen wichtig, um die bestmögliche Entscheidung zu treffen.

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